Brief Nr. 8: Feministische und queere Positionen

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Häupl.
Sehr geehrte Frau Vizebürgermeisterin Vassilakou,
Sehr geehrter Herr Mailath-Pokorny,

„Armut ist die schlimmste Form der Gewalt!“ sagte Mahatma Gandhi und als Obfrau von One Billion Rising Austria, einer künstlerischen Kampagne für ein Ende der Gewalt an Frauen* und Mädchen*, die mit dem Medium Tanz gegen Gewalt und der Einschränkung von Lebenswelten von Frauen* und Mädchen*kämpft, schreibe ich Ihnen gemeinsam mit anderen Frauen* diesen Brief.

Frauen* und Personen mit queeren Identitäten sind aufgrund von einer heteronormativen, partriarchalen Gesellschaftsordnung von einer wirklich freien Selbstbestimmung noch immer ausgeschlossen.

Wir werden gezwungen, uns anhand von Maßstäben zu bewerten und konstruieren, die nicht die unseren sind, mehr noch, es wird uns von Kindesbeinen systematisch ausgetrieben, solche Maßstäbe auch nur zu denken. Es wird verlangt, uns Verwertungsansprüchen Dritter zu unterwerfen, uns, unsere Kunst, unsere Arbeit, unser Leben, unser Lieben nicht danach zu beurteilen, was tatsächlich vorhanden ist, was daraus entstehen kann, sondern danach, ob es nach den Regeln eines kapitalistischen und patriarchalen Systems verwertbar ist, ob es und wir dazu benutzbar sind, Herrschaftsstrukturen zu stärken und einen hinreichend großen Gewinn abzuwerfen für die, die in dieser künstlichen Hierarchie über uns stehen. Damit entstehen dort, wo eigentlich Leben sprießen, sich entwickeln sollte, Wüsten. Leerstellen.

Die Förderung von Frauen* und Menschen mit queeren Identitäten muss intensiviert werden und sich an deren Bedürfnissen und Ansätzen orientieren. Feministische und queere Postionen sind als fixer Bestandteil in Bildung und Forschung zu etablieren, um die bestehenden Herrschaftsverhältnisse und Hierarchien in der Gesellschaft erforschen zu können. Denn Gesellschaften, die von Leben erfüllt sind, sind auch einem Wandel unterworfen, und dieser Wandel ist in Theorie und Praxis anzustreben.

Hier geben wir auch zu bedenken: Wie soll Förderung nachhaltig funktionieren, wenn nur Projekte finanziert werden können, die zusätzliche Kapazitäten fordern (schon allein beim Einreichen sind diese nötig). So können sich nur Projektgruppen zusammenfinden, die sich nach Abschluss gleich wieder trennen, es kann keine gewachsene Struktur im Kulturbereich entstehen, sondern es können nur zusätzliche Kurzzeitinitiativen mühsam geschaffen werden, die bald darauf wieder vergehen, und systembedingt in Konkurrenz zueinander stehen. Gerade in diesem Bereich sind immer wieder nur kleine Projekte möglich, und wenn Einreichungen nicht erfolgreich sind, steht die eigene Existenz am Spiel.

Es gilt, Visionen zu entwerfen und in die Welt zu bringen, aus uns heraus, durch unsere Arbeit, die nicht dem Gewinn weniger dienen darf, oder dem Machterhalt, sondern dem Aufbau einer Welt für alle. Denn gerade eine anhaltende Visionslosigkeit, der wir gestattet haben, sich in weiten Teilen der Gesellschaft auzubreiten, betoniert eben diese Wüste der Kulturlosigkeit und somit Lebensfeindlichkeit. Eben diese Visionen zu entwerfen und künstlerisch aufzubereiten, erfordert Kontinuität, nicht laufende Fortschreibung des Prekariats.

Personen, deren Identitäten sich nicht dem Diktat der zwei Geschlechter unterwerfen, werden ausgeschlossen, Personen, deren von der Gesellschaft ausgewählte Identität nicht schon bei der Geburt für sie wie angegossen passte, sind Diskriminierungen und Ausschlüssen ausgesetzt. Zum Beispiel Inter-Menschen sind nicht nur von Ausschluss, Diskriminierung und Gewalt im sozialen und öffentlichen Leben aufgrund ihres Geschlechts betroffen, sondern rechtlich nicht einmal existent (Personenstandsgesetz, Dokumente, etc.) Oft werden sie schon im Kleinkind-Alter mittels medizinischer Eingriffe verstümmelt. Und das alles, um in eine Norm zu passen.

Wir brauchen ein Aufbrechen der Hegemonie, nicht Diversity. Wir sind keine bunten Flecken im Einheitsbrei, wir brauchen gelebte und lebbare Alternativen.

An dieser Stelle noch ein persönliches Statement:

Als Frau und Künstlerin kann ich mich nun nicht darüber beklagen, zu wenig Projekte oder Auftritte zu haben – bloß, dass sie meist quasi ehrenamtlich bis gar nicht honoriert werden, ja es geht sogar soweit, dass ich persönlich nicht nur Zeit und Kraft, sondern auch monetär selber investieren muss. Wie sich meine Lage so entwickeln konnte, war zwar meine eigene Entscheidung, so doch stellvertretend für viele Frauen* und sicherlich geprägt von der Kulturpolitik dieser Stadt.

In den 60iger Jahren in dieser Stadt aufgewachsen war ich voll naiver Zuversicht, dass alle Bewohner*innen gleiche soziale Chancen hätten und unabhängig von ihrer familiären finanziellen oder geschlechterspezifischen Disposition sowohl in der Bildung als auch im Beruf gleichgestellt wären.

Alle Entwicklungen der damaligen Zeit deuteten in diese Richtung. Die allgemeine Stimmung in der damaligen Gesellschaft war voll Optimismus, Frauen wie Dohnal mit ihrer Politik ließen mich hoffen, wir könnten uns frei für einen Beruf entscheiden und falls Kinderwunsch bestand, auch frei für die Mutterschaft entschließen. Einzig allein die Hingabe und die Leistung würden auch den Erfolg bestimmen. Vereinbarkeit von künstlerischer Karriere und Elternschaft ist auch eine unserer 15 Forderungen, siehe Tag 11.

In meinen Fall galt meine Leidenschaft dem Tanz – sowohl in der Kunst noch am wenigsten akzeptiert als auch mit einer Mutterschaft noch am schwierigsten zu vereinbaren.

Allein, meine Entscheidung fiel so aus, dass ich bewusst auf meine damals recht aufsteigende Karriere verzichten musste zugunsten meines Kinderwunsches. Ich habe vier Kinder, bereue es keinesfalls, nein, ich bin ihnen sehr dankbar, denn sie haben mich so Vieles gelehrt und mich zu der Frau und Künstlerin werden lassen, die ich nun bin. Ohne sie würde ich wohl nicht die Kraft haben, größere Projekte zu realisieren, zu leiten und durchzuführen, wie ich es nun imstande bin.

Selbstverständlich können Sie sich vorstellen, dass mir dabei keine Zeit bleibt, Einreichungen für meine eigenen künstlerischen Projekte zu machen, oder auch für eine gewissenhafte Haushaltsführung – Hilfe zum Putzen oder Babysitter*innen zu holen übersteigt unsere finanziellen Kapazitäten – die finanzielle Abhängigkeit von meiner Familie, ohne deren Hilfe wir schon längst auf der Straße gelandet wären, bedrückt zusehends.

Trotzdem oder gerade deswegen sehe ich es als mein Lebensprojekt weiter zu machen, nicht auf zu geben, wie so viele meiner Kolleg*innen. Aber ich wünsche meinen Mitstreiter*innen einen leichteren Weg als den Meinen.

Wir brauchen eine höhere Form des Bewusstseins, eine gerechte Politik, die alle Menschen gleich behandelt – nicht nur auf dem Papier, sondern in der Praxis, eine Gesellschaft, die alle Menschen, egal welcher genetischen oder sexueller Disposition inkludiert.

Es liegt an Ihnen und in Ihrer Verantwortung, uns all dies zu ermöglichen!

Mit freundlichen Grüßen,

Aiko Kazuko Kurosaki – One Billion Rising Austria

Elisabeth Eder, Esther Lang – Feministisches Street Art Kollektiv Wien

PS.: Wir werden uns erlauben, diesen offenen Brief als Aktion heute am Weltfrauentag öffentlich auf der FrauenLesbenDemo um 17:00 am Praterstern zu verlesen.

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Offenlegung: Medieninhaberin: Maria Novak, Wien. Grundlegende Richtung: Information über die Plattform #istnoetig und die 15 Forderungen an die (Kultur-)Politik