Brief(e) Nr. 12: Konsumfreien öffentlichen Raum schaffen und erhalten

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Häupl,
sehr geehrte Frau Vizebürgermeisterin Vassilakou,
sehr geehrter Herr Stadtrat Mailath-Pokorny,

Die Zugänglichkeit des öffentlichen Raumes bildet die Basis einer solidarischen Gesellschaft. Stadt als multikultureller Mikrokosmos der erweiterten globalisierten Welt muss neben regulierten, gezielt geformten Architekturen auch Orte schaffen, die frei sind von konsumorientierten Absichten. Räume, die keine spezifischen Absichten in der choreografierten Stadtstruktur verfolgen sind offene Orte, wo sich der Mensch, Bürger und Bürgerinnen selbst wahrnehmen und erfinden können. Kommunale Grünflächen, Parks, Spielplätze und Marktplätze dürfen daher keinen weiteren Bauprojekten Platz machen. Stadt beginnt sobald wir unsere eigene Haustüre verlassen. Es ist eine geteilte kommunale Landschaft, welche nicht durch politische Entscheidungsträger ‚von oben’ allein geformt werden darf. Im Kontext der stetig fortschreitenden globalen Ungleichheit von Vermögen und somit politischer Macht muss regionale Stadtgestaltung ein zunehmend horizontaler Prozess sein, der Bürger und Bürgerinnen solidarisiert, inspiriert und in ihrer Verantwortung aktiviert.

Die Kreativität des Menschen ist das wahre Kapital. Ist die Kunst in der Krise, sind alle anderen Bereiche ebenso in der Krise.
(Joseph Beuys)

Der deutsche Künstler Joseph Beuys beschrieb das bewusste aktive Formen der Gesellschaft als einen künstlerischen Prozess höchsten Grades. Dieser Formungsprozess soll nicht hinter geschlossenen Türen in privaten sondern an öffentlichen kommunalen Orten inmitten des sozialen Geflechts geschehen. Stadt braucht neben dem Kaffeehaus, konsumfreie Orte für Dialog, Orte des Treffens, Orte des Seins, Orte des Austausches, Orte wo der Mensch frei von konsummanipulierenden Maßnahmen atmen kann.

Für die Zukunft, welche jetzt in diesem Augenblick beginnt, fordern wir dass der Zugang und die Gestaltungsmöglichkeit konsumfreier Orte bürokratisch erleichtert wird. Gemeinnützige und künstlerische Veranstaltungen, Konzerte, Theater, Tanz, Performancekunst und Kundgebungen zählen zu der bunten Vielfalt die Stadt ausmachen. Die Aneignung und Teilnahme an der kommunalen Gestaltung von Stadt darf nicht unterbunden, gefürchtet oder zunehmend kontrolliert und reguliert werden. Neben den großen Plätzen und Grünflächen bieten auch die vielen Ecken und kleineren Orte mittendrin einen Platz, wo Kreativität und ziviles Engagement initiiert werden kann und soll. Kreative Vielfalt ist ein Stichwort in jeder Evolutionstheorie. Ähnlich der Natur, braucht auch der soziale Organismus eine Vielfalt an künstlerischem und kulturellem Ausdruck, um sich nachhaltig entwickeln zu können.

Überblickt man die globale Spielfläche humaner Zivilisation, so erkennt man, dass sich viele der signifikanten Entwicklungsprozesse, Innovationen und Neuheiten in Städten formieren. Diese Prozesse ‚passieren’, wenn es dafür Raum und Aufmerksamkeit gibt. Die Bespielung öffentlicher Orte einzudämmen und verstärkt zu kontrollieren würde die oben genannten Möglichkeiten einschränken und einer Nichteinhaltung des demokratischen Versprechens gleich kommen. Wir bitten Sie daher zu einem offenen horizontalem Gespräch zu der Erhaltung und Schaffung konsumfreier öffentlicher Räume in Wien.

Wir wollen Sie auf die folgenden zwei Aktionen hinweisen, welche diesen Brief begleiten und laden Sie herzlichst dazu ein der Fotografischen Inszenierung von Romana Hagyo und Silke Maier-Gamauf am 12.3. 2016 im 12 Gemeindebezirk beizuwohnen. Mehr Information dazu finden Sie hier.

Hochachtungsvoll

Minou Tsambika Polleros & Darren Jan Sutton

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Kunst kommt von dürfen.
Noch ein offener Brief „ist nötig“.

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Häupl,
sehr geehrte Frau Vizebürgermeisterin Vassilakou,
sehr geehrter Herr Stadtrat Mailath-Pokorny,

die Stadt und die Landschaft sind alles mögliche – nur nicht öffentlich. Sie werden verwaltet, als wären sie Eigentum von Behörden. Für jede Regung im öffentlichen Raum gibt es Verbote – es sei denn eigens eingeholte Ausnahme-Genehmigungen erlauben der Öffentlichkeit ein bisserl öffentlich zu sein. Für junge, bisweilen spontane Kunstschaffende ist das besonders schmerzlich. Dabei gebietet der § 17a StGG („Das künstlerische Schaffen, die Vermittlung von Kunst sowie deren Lehre sind frei.“) den rechtlichen Auftrag, Kunst auch außerhalb der Elfenbeintürme nicht zu verbieten.

Mit der Kommerzialisierung des öffentlichen Raums ist eine Verdrängung jener Personengruppen verbunden, die geringere finanzielle Ressourcen haben oder Straßen und Plätze alternativ zum konsumorientierten Angebot nutzen. Die Zugänglichkeit des öffentlichen Raumes bildet die Basis einer solidarischen Gesellschaft. Kommunale Grünräume müssen erhalten oder bei Verlusten ersetzt werden. Um nichtkommerzielle Veranstaltungen in Parks zu ermöglichen, braucht es Pavillons mit Wasser- und Stromzugang. Um die Organisation und Ankündigung von gemeinnützigen Veranstaltungen zu erleichtern, ist es nötig, den bürokratischen Aufwand zu reduzieren, infrastrukturelle Ressourcen zur Verfügung zu stellen und die Plakatierfreiheit wieder einzuführen. Ebenso müssen die Auflagen für Straßenmusik und -theater reduziert werden.

Die Spitze des Skandals ist aber, dass immer, wo etwas nicht ausdrücklich verboten ist, wo es keine Paragraphen gegen die Kunstausübung gibt, jeder Exekutivbeamte einen Grund zum Eingreifen, Verbieten und Festnehmen in Sekundenschnelle erfinden kann, dann droht die Bestrafung der Verletzung der „Öffentlichen Ordnung“, wegen „Anstandsverletzung“, „Aggressiven Verhaltens“ u. s. w. In jenen Fällen, in denen Polizisten ihre Macht mit Ermessensspielraum aufdoppeln dürfen, ist der Rechtsstaat schon ausgehebelt. Und auch immer der Verdacht der Korrumpierbarkeit zu überprüfen. „Folgt man Mahrers „less government bedeutet mehr Eigentum und damit Freiheit“, propagiert man in Wirklichkeit Manchester-Kapitalismus mit dem Staat als „Nachtwächter“, dessen Haupt- und einzige Aufgabe die Sicherung des sich rapide vermehrenden Privateigentums ist und nicht die Sicherung der Wohlfahrt der Bürgerinnen und Bürger des Staates.“ (Kurt Bayer). Aus diesem Grund haben einige deutsche Länder diese Paragraphen schon abgeschafft.

Deshalb ist es möglich, dass die öffentliche Hand zur Delogierung von 19 Jugendlichen, als Assistenz des Exekutors, zugunsten eines Immobilienhaies, Panzer, Wasserwerfer, Hubschrauber und je nach Zählmethode 1454 bis 1700 (!) Polizisten, Gesamtkosten 870.000 Euro, einsetzt („Bei Europas größter Razzia gegen Islamisten“, jedenfalls der bisher größten Aktion gegen den weltweit gefürchteten IS, wurden im Dezember 2014 österreichweit gerade mal 900 Beamte eingesetzt.). Am 24. November 1988 wurde während einer Gedenkveranstaltung und der Enthüllung des Mahnmals gegen Krieg und Faschismus am Wiener Albertinaplatz ein Transparent getragen, „Tausende homosexuelle KZ-Opfer warten auf Rehabilitierung“. Nach einer Zeit wurde das Transparent von einer Gruppe Polizisten gewaltsam entfernt und beschlagnahmt. Nach erfolglosen Beschwerden bei den Behörden wurde der Verfassungsgerichtshof bemüht, der festgestellt hatte, dass die Polizei durch ihr Vorgehen das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht verletzt hatte. Aber auch der Tod des (nicht gewalttätigen mitwirkenden) 34jährigen mauritanischen Physikstudenten Seibane Wague in der Nacht vom 14. auf 15. Juli 2003 durch einen Polizeieinsatz im Wiener Stadtpark (neun Angehörige von Polizei und Rettung „fixierten“ ihn dermaßen am Boden, dass er erstickte) geschah im Rahmen eines Kunstprojektes. Am 7. August 2011 wurde Wolfgang Schneider (44) bei einer Brauchtumsveranstaltung im Rahmen des Villacher Kirchtages in Villach festgenommen und wegen Störung der „öffentlichen Ordnung“ zu 70 Euro Strafe verdonnert, weil er ein T-Shirt anhatte, auf dem stand, „Uwe geh in Häf’n! That’s part of the game“.

Unterm Strich sieht es so aus, als wäre es die hehre Aufgabe des Österreichischen Rechts, Wohlhabende und Mächtige (und die von ihnen eingesetzte Exekutive) vor/gegen den/die Armen im Lande und kritische Künstler zu schützen. „Ehrlich erarbeitetes Eigentum wird von uns beschützt, vor Dieben wie vor Sozialdemokraten“ (Karlheinz Kopf). Dazu gibt es die vielen detailverliebten Betteleigesetze und -Verordnungen, das Campierverbot, die Regeln gegen die Prostitution, Jagd auf Graffitikünstler, das Forstgesetz, das Versammlungsrecht und neun Veranstaltungsgesetze … und wenn die Verwaltung, Politiker oder Behörden, kein wirksames Gesetz gegen ein Kunstwerk, eine künstlerische Performance oder gegen Künstler finden können, dann bleibt (s. o.) immer noch der Vorwurf der „Störung der öffentlichen Ordnung“. Oder die „Anstandsverletzung“ als Totschlagargument der Landeshauptleute.

In Istanbul ist der Choreograph Erdem Gundüz zu einem friedlichen Protest still gestanden. Das Bild ist um die Welt gegangen. In Wien wäre er dafür nach Minuten festgenommen und bestraft worden (§ 78 StVO: „Auf Gehsteigen und Gehwegen in Ortsgebieten ist verboten, … den Fußgängerverkehr insbesondere … durch unbegründetes Stehenbleiben zu behindern.“).

Dabei hat die Erfahrung gezeigt, dass in öffentlichen Räumen, die künstlerisch gestaltet sind oder in denen sonst Kunst stattfindet, weniger Vandalismus vorkommt.

1971 hatte der Künstler Edwin Lipburger in Katzelsdorf auf einer Wiese ein Kugelhaus errichtet. Als Kunstwerk war es eine begehbare Skulptur und ein Dorn im Auge der niederösterreichischen Beamtenschaft. Weil offenbar nicht sein darf, was nicht sein kann, weil es solches zuvor noch nicht gegeben hatte. Das Projekt nannte er „Kugelmugel“. Was sich von da an entwickelt, scheint wie ein Lehrstück in Sachen Wahnsinn und Gesellschaft, und ist ein bis heute offener Rechtsstreit zwischen der Republik Österreich und Edwin Lipburger. Kugelmugel steht jetzt in Wien. Es gibt keinen besseren Ort um am kommenden Samstag über Kunst im öffentlichen Raum zu diskutieren als an dieser Adresse.

Wir würden sehr gerne mit Ihnen und allen, denen das Kunstschaffen dieser Stadt ein ehrliches Anliegen ist, darüber sprechen.

Bitte besuchen Sie unsere Diskussionsveranstaltung zu diesem Thema, „Wem gehört der öffentliche Raum? Warum darf die Kunst trotzdem nicht?“, Samstag, 12. März 2016, ACHTUNG: 16 UHR, Republik Kugelmugel, Wien 2, Prater Hauptallee, Antifaschismusplatz (5, O, 80A, 5B, U1, U2, S1, S2, S3, S4 oder S7 bis Praterstern).

Hochachtungsvoll
Erich Félix Mautner, Autor
KUNST KOMMT VON DÜRFEN

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Offenlegung: Medieninhaberin: Maria Novak, Wien. Grundlegende Richtung: Information über die Plattform #istnoetig und die 15 Forderungen an die (Kultur-)Politik