Brief Nr. 15: Solidarische und menschliche Flüchtlingspolitik

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Häupl!
Sehr geehrte Frau Vizebürgermeisterin Vassilakou!
Sehr geehrter Herr Stadtrat Mailath-Pokorny!

In Wien als Geflohener ankommen. Weggelaufen in großer Not, angekommen nach enormen Strapazen in einem anderen Kulturkreis. Nicht verstanden werden. Nicht verstehen können.
Falsch verstanden werden. Willkommen geheißen werden. Ein Bett zum Schlafen erhalten.
Das Essen und seinen Geschmack nicht verstehen. Fragen beantworten müssen, die man sich noch nie gestellt hat. Nicht verstehen können. In die deutsche Sprache nicht hineinfinden können. Nicht ankommen können.

„Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben“ heisst es in der so oft zitierten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte/Artikel 27! „Schutzbefohlene“ werden sie von Elfriede Jelinek genannt, jeder und jede Einzelne ein Mensch wie Sie und ich. Sie in der Politik tätig und ich, Teil der prekär verdienenden Gesellschaft der Kulturarbeitenden.

Viele dieser Schutzbefohlenen könnten morgen Teil unserer Gesellschaft sein als ein wertvoller kultureller und intellektueller Imput, bald schon ein Mitträger unserer Pensionen, ein Schwungrad für eine Gesellschaft, die sich als verantwortungsvolle Verwalter eines Planeten begreift, der uns alle ernähren soll.

Schauen Sie hin, es passiert dort, wo sich Menschen über nicht vorhandene Mittel und kontinuierlich gekürzte Förderungen hinwegsetzen, wo ehrenamtlich und pro bono eindrucksvolle Arbeit geleistet wird. Wo um der Sache willen die Zähne zusammengebissen werden, die Selbstausbeutung fröhliche Urstände feiert und jede Einreichung um Fördermittel wenn nicht abgelehnt, so auf ein Minimum herunter gekürzt wird. Dort ist die kulturelle Integration der Schutzbefohlenen zuhause – in freien Theaterproduktionen, in öffentlichen Performances, in der Arena ebenso wie in den Produktionen des Burgtheaters. Künstlerischer Ausdruck /Kunst/Kunstarbeit erklärt sich ohne Missverständnisse. Kunst übersteigt spielend Sprachbarrieren, ja, Kunst gewinnt die Menschen und erwischt sie bei ihren Herzen. Die Newcomers unserer wachsenden Stadt benötigen keinen Aktionstag, sie sind nicht zu übersehen und beweisen eindrucksvoll, wie schnell sie mit den Kunst- und Kultur Schaffenden zusammen arbeiten können um bei Flashmobs, Performances oder literarischen Events ganz vorne zu stehen.

Dafür unkompliziert angemessene Fördermittel zur Verfügung zu stellen, rechnet sich, sehr geehrter Herr Bürgermeister, sehr geehrte Frau Vizebürgermeisterin und sehr geehrter Herr Kulturstadtrat!

„Kunst ermöglicht Menschen, ihre Identität zu finden und diese auszuleben“ heißt es auf der Homepage der Brunnenpassage in Ottakring, einer Institution, die gerade jetzt wieder Förderungskürzungen hinzunehmen hat. Gerade dort, wo den Newcomern Wege geöffnet werden, sich aktiv an künstlerischen Projekten zu beteiligen, sind wieder Kürzungen und Streichungen der Fall.

Freie Kunst- und Kulturarbeit erfordert Bewegungsfreiheit für alle.

Wir fordern eine solidarische und menschliche Flüchtlingspolitik, die Menschen unabhängig von ihrer Herkunft die Chance gibt, in Wien, Österreich und Europa gleichberechtigt zu leben!!!

Elisabeth Penzias, eop –
Textarbeiterin und Flüchtlingsbegleiterin