Brief Nr. 10: Gleichberechtigung älterer Künstler_innen

 

Sehr geehrter Herr Stadtrat Mailath-Pokorny,
sehr geehrter Herr Bürgermeister Häupl,
sehr geehrte Frau Vizebürgermeisterin Vassilakou,

die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind enorm, die Kompression unterschiedlichster Problematiken, sozial, wirtschaftlich, ökologisch, urban gewaltig. Und die Geschwindigkeiten, beschleunigt durch digitale und biotechnologische Revolutionen nehmen weiter zu. Wie ist das zu bewältigen? Und welche Rolle spielen KünstlerInnen und ihr feines Sensorium für gesellschaftliche Vorgänge? Welche Funktionen hatte die sogenannte „freie Szene“ beim demokratischen Aufbruch der 70er- und 80er- Jahre und welche könnte sie zukünftig haben?

Gerade durch die Differenz und Vielfalt der Ansätze kann diese freie Szene, können wir tatsächlich zu wichtigen Partnern in der Entwicklung der Strukturen einer Gesellschaft werden, einer Gesellschaft, die sich erneuern muss, um die anstehenden Aufgaben im Sinne eines guten Lebens für alle zu bewältigen. Die Modelle der Kunstförderung und ihre Administration sind jedoch in den letzten Jahrzenten mehr und mehr statisch geworden. Letztlich durch eine gewisse Passivität und Gleichgültigkeit auf Seiten der KünstlerInnen, wie auch der Politik.

Aber wir sind ALLE dringlich eingeladen uns den neuen Aufgaben zu stellen. Ihre Aufgabe als Politiker ist es, diesem Auftrag durch entsprechende Rahmensetzungen nachzukommen, die Entwicklungen im Sinne dieses Zieles ermöglichen. Wer, wenn nicht Ihre Regierung soll das tun?

Sie haben in den vergangenen Jahrzehnten in KünstlerInnen investiert – gleichzeitig findet nun stillschweigend und systematisch die Kaltstellung und „Entsorgung“ von KünstlerInnen der älteren Generation statt – in der darstellenden Kunst vorwiegend über ein Gremium, das vorgeblich rein nach „qualitätiven“ Kriterien entscheidet. Ältere Kunstschaffende werden im Sinn eines Jugendkults von der Kulturpolitik wie vom „Markt“ diskriminiert, obwohl gerade sie mit ihrer langjährigen Erfahrung die verlautbarten Ziele der Kulturpolitik nachhaltig unterstützen und den spezifischen Stellenwert Wiens substantiell heben könnten.

Die Verwaltung unserer Agenden mit dafür bereitgestellten Strukturen und Ressourcen basiert auf der Annahme der 80 er – und 90 er Jahre, dass Im Feld freien Kunstschaffens vorwiegend junge Leute arbeiten, die entweder über die Zeit ohnehin aufhören, oder sich Richtung institutioneller Kunstorte verabschieden. Das hat sich aber nicht bewahrheitet und war auch in den wenigsten Fällen die Absicht der KünstlerInnen.

Durch die gegenwärtige Vorgangsweise beschädigen Sie Ihr eigenes Investment. Diejenigen KünstlerInnen, die sich über diese lange Zeit gehalten haben, sind erfahrene KommunikatorInnen, die gemeinsam mit dem Nachwuchs Wirkung entfalten können. Dafür ist eine andere wertschätzende Haltung ihnen gegenüber, und dafür sind neue Strukturen notwendig. Wie diese genau aussehen? Die Antworten auf diese Fragen sind durch eine konsequente Visionsund Kommunikationsarbeit zu erlangen. Wir sind bereit dafür, sind Sie es auch?

Klassische Modelle und ihre Aufteilung in „top down“ versus „bottom up“ sind längst überholt. Wie sehen wir die kulturelle Landschaft, in der wir tätig sein wollen? Welche nicht nur auf eine Altersgruppe beschränkten Strukturen und systemischen Voraussetzungen, unterstützen unsere Arbeit, ebenso wie die Entwicklung einer Gesellschaft, in der gutes Leben für alle realisiert werden kann? Wie und in welchem Ausmaß können sie verankert werden?

Die Stadtentwicklungsgebiete sind im Sinne einer Dezentralisierung ideale Orte zur Implementierung neuer prozessorientierter Kunstproduktions – und Rezeptionsräume. Durch kluge politische Weichenstellungen könnten diese mit nur minimalen Prozentbeträgen der dort umgesetzten Gelder finanziert werden.

In Erinnerung an Kazuo Ohno, der auch im hohen Alter als Künstler öffentlich agierte und als Hommage an Steve Paxton, der sich jahrelang im Rahmen seiner improvisatorischen Körper- und Raum – Investigationen mit dem Material der Goldberg-Variationen beschäftigte, lade ich Sie am 10. März zwischen 10 und 17h zur Arbeitsdemonstration und zu Diskussionen ein. Wir setzen damit Zeichen für die Forderung nach Gleichberechtigung für ältere KünstlerInnen im Rahmen einer umfassenden Neuordnung der Förderstrukturen.

Mit freundlichen Grüßen

Daniel Aschwanden,
Performer/Choreograph/Gastprofessor Universität f. angewandte Kunst Wien

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Offenlegung: Medieninhaberin: Maria Novak, Wien. Grundlegende Richtung: Information über die Plattform #istnoetig und die 15 Forderungen an die (Kultur-)Politik