Brief Nr. 3: „Angemessene Kunst- und Kulturbudgets für die freie Szene“

Denise Parizek, foreign affairs & curator

Erich Félix Mautner, Autor
p.A. Schleifmühlgasse 12-14 / Artist Run Space Vienna
1040 Wien

Wien, 3. März 2016

Betreff: Angemessene Kunst- und Kulturbudgets für die freie Szene

Offener Brief „ist nötig“

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Häupl,
sehr geehrte Frau Vizebürgermeisterin Vassilakou,
sehr geehrter Herr Stadtrat Mailath-Pokorny,

daß die Wiener Künstlerschaft in diesen 15 Tagen des März ihre „Eine andere Kulturpolitik ist möglich nötig!“-Hilferufe an Sie und Ihre Kollegen im Landtag/Gemeinderat in 15 Briefen artikulieren will, das wissen Sie schon.

Natürlich wissen Sie auch, dass sich der Bund mit einem Kunstförderungsgesetz und einem Gesetz zur Förderung der Vielfalt des Kunstschaffens verpflichtet hat! Aber, wissen Sie eigentlich auch, dass drei Bundesländer (Niederösterreich, Tirol und Vorarlberg) die Verpflichtung zur Kunstförderung in der Landesverfassung festgeschrieben haben? Dass sechs Bundesländer (Burgenland, Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg und Vorarlberg) die Verpflichtung zur Kulturförderung in Kulturförderungsgesetzen festgehalten haben? Dass die Steiermark das einzige Bundesland ist, das sich ein eigenes Kunstförderungsgesetz gegeben hat? Dass das in Salzburg im Tourismusgesetz und im Festspielfondsgesetz festgehalten ist?

Dann wissen Sie auch, dass das einzige Bundesland, das sich weder in der Landesverfassung, noch in einem Kulturförderungsgesetz noch in einem Kunstförderungsgesetz zur Förderung des Kunstschaffens verpflichtet hat, das von Ihnen, Herr Bürgermeister, seit 1983, und von Ihnen, Herr Kulturstadtrat, seit 2001 mitregierte Wien ist!

Sind Sie sicher, dass Sie sich in dieser anachronistischen, der Sozialdemokratie unwürdigen Situation wohl fühlen?

Erzählen Sie uns bitte nicht, dass jetzt die Made im Speck unzufrieden bzw. anmaßend ist! Denn damit könnten unmöglich die freien Gruppen gemeint sein. Aber, wenn wir schon dabei sind: Die Maden im Speck, die, die die fettesten Brocken abbekommen, können ganz gut mit dieser Situation leben, weil sie in Dienstverträgen und deren Dauer denken. Theaterdirektoren, Museumsleiterinnen oder Intendanten können mit deren Gehalt und dieser Rechtsunsicherheit, ob es das Institut noch geben wird, wenn der Dienstvertrag ausgelaufen sein wird oder die in Pension sind, ganz gut leben. Die, die die Kunst nicht verwalten sondern Schaffen, machen, leben und oft unter Entbehrungen leiden, sehen das naturgemäß anders. Die sollte man respektieren – nicht erst nach ihrem Tod.

Wien braucht ein Kunstförderungsgesetz, obwohl diese Stadt sowieso sehr viel Geld für die Unterstützung der Kunstbetriebe ausgibt – die fetten Maden und die Krumen, die für die freie Szene unter den Tisch fallen, zusammengerechnet. Wien braucht ein Kunstförderungsgesetz, weil es derzeit für Förderungen von Kunstprojekten keine Rechtsgrundlage gibt, weil die Zahlen von Budget zu Budget beschlossen werden! Und weil jeder Cent, der ein Projekt erst möglich macht, in dieser Situation ein Gnadenakt ist, kein Recht! Weil Kunst nicht rentieren muss, die meisten Projekte gar nicht direkt rentabel sein können.

Und weil sich die Mandatsverhältnisse auch in Wien verändern können und rechts von der Sozialdemokratie wenig Verständnis für Kunstförderung zu erwarten ist – wenn es kein Gesetz gibt, das die Verwaltung dieser Stadt verpflichtet.

Die Kunstschaffenden dieses Landes gehen Ihnen gerne mit ihrer Expertise zur Hand bei der Formulierung eines Wiener Kunstförderungsgesetzes. Es gibt unter ihnen sehr kluge Köpfe, man braucht sie bloß zu fragen. Überhaupt scheint es eine für Österreich revolutionierende Idee zu sein, Menschen aus der Kunstpraxis ein Kunstförderungsgesetz formulieren zu lassen, Experten, die vom Aufstehen bis zum Schlafengehen damit leben, und nicht Politiker, Referenten und Beamte, die das Kunstleben nur mit Freikarten und da bloß bei Wohlfühlterminen kennen! Das Experiment sollte man wagen! Nicht Politiker und Beamte, Schreibtischtäter, sollen entscheiden, was die Kunstszene braucht, sondern die Menschen, die es besser wissen, die auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs agieren. Jede Form der Kunst-Verwaltung ist Zensur.

Die freie Szene, Galerien, Theater, Kabaretts, Verlage, Zeitschriften und alle anderen, sind der unabdingbare Humus, ohne den die große Kunst undenkbar wäre. Die freie Szene bringt mehr Menschen zur Kunst, fördert mehr Kunstverständnis, als der Regelschulbetrieb. Die freie Szene hat nachweislich einen ganz entscheidenden Anteil am Kunst- und Kulturgeschehen und damit am unverwechselbaren Profil der Stadt. Der Anteil der Gesamtausgaben der Stadt Wien für Kultur, der für die freie Szene zur Verfügung steht liegt laut Studie „Kultur und Geld“ bei 2,5% und ist damit viel zu niedrig. Wir fordern die Erhöhung des Anteils des Kulturbudgets für die freie Szene auf mindestens 10 %, um mehr Verteilungsgerechtigkeit herzustellen. Um die Leistungen der freien Szene sichtbar zu machen und einen Vergleich zu den erhaltenen Förderungen und den staatlichen Institutionen zu ermöglichen, muss eine Basisdatenerhebung in Auftrag gegeben werden.

Wir würden sehr gerne mit Ihnen und allen, denen das Kunstschaffen dieser Stadt ein ehrliches Anliegen ist, darüber sprechen.

Bitte besuchen Sie unsere Diskussionsveranstaltung zu diesem Thema, „Zu wenig Freiheit der Kunst und zu viel Freiheit der Kunstförderung“, Donnerstag, 10. März 2016, 19 Uhr, Galerie Artist Run Space Vienna, Wien 4, Schleifmühlgasse 12-14 (U4 Karlsplatz, dann 59A Schleifmühlgasse)

Hochachtungsvoll

Denise Parizek, foreign affairs & curator
gallery 12-14
Erich Félix Mautner, Autor
KUNST KOMMT VON DÜRFEN

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Offenlegung: Medieninhaberin: Maria Novak, Wien. Grundlegende Richtung: Information über die Plattform #istnoetig und die 15 Forderungen an die (Kultur-)Politik