Brief Nr. 13: Kreativität und Selbstbestimmung in der Bildung und SorgeArbeit #istnoetig!

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Häupl,
sehr geehrter Herr Stadtrat Mailath-Pokorny,
sehr geehrte Frau Vizebürgermeisterin Vassilakou,

Kreativität und Selbstbestimmung in der Bildung und SorgeArbeit #istnoetig!

Wir brauchen MEHR (statt weniger) Freiräume!

Lange Wartelisten für Kurse und kaum Angebot an niederschwelligen Möglichkeiten des Deutschlernens stehen einer gesetzlich forcierten Nachweispflicht von Deutschkenntnissen für Zuwander_innen gegenüber. Zwischen diesem Deutschzwang und unserer Forderung des Rechts auf Sprache nehmen die Offenen Deutschkurse eine ambivalente Rolle ein: Als eines der wenigen niederschwelligen Angebote des Deutschlernens in Wien sind die Kurse massiv überfüllt und übernehmen so Airbagfunktion verfehlter Politiken. Gleichzeitig erachten wir das Erlernen der deutschen Sprache als einen Weg um an politischen Prozessen teilzunehmen, weshalb es Allen möglich sein soll, dies kostenlos und ohne Druck zu tun. Deshalb: “Deutschkurse für Alle!”     Deutsch mögen lernen statt Deutschzwang! Sprachen verbinden uns. Unterstützen wir uns!

Autonom. Als Kollektiv verstehen wir den Begriff als radikales Selbstverständnis. Handlungsleitendes Paradigma. Politisch, organisatorisch, inhaltlich, programmatisch.

Unabhängig von fördernden/fordernden Geber_innen und deren Einflüsse auf unser Tun und Handeln. Wir sammeln keine Daten. Wir ordnen keine_n in Zielgruppen oder Kategorien von nicht_gestatteten Deutschlernenden. Wir schließen nicht aus. Wir zählen nicht. Wir halten nicht fest. Wir erlauben es uns, nicht zu wissen wer wir sind, keinen Überblick zu haben über die genaue Anzahl, die Gründe, die Bedürfnisse oder die möglichen individuellen Verpflichtungen, sich Deutsch anzueignen. Wir erlauben es uns, keine Aufenthaltstitel an Individuen festzumachen, keine Dokumente zu kopieren. Wir stellen gerne Teilnahmebestätigungen aus, für Lehrende und Lernende gleichermaßen selbstbestimmt. Wir erlauben uns, keine messbaren Erfolge, keine Evaluationen in Zahlen und Tabellen. Wir nehmen/geben gerne solidarische Unterstützung. Wir verkaufen nichts, auch keine Abschlusszertifikate oder Wohltätigkeitsaktien. Wir schaffen autonome Lern-/ und Lehrräume. Offen für Alle. Bedingungslos.

Autonom zu sein von fördernden fordernden Geber_innen bedeutet auch, angewiesen zu sein auf solidarische Freund_innen und ihr selbstbestimmtes Mittun und Geben. Das Kollektiv lebt von den vielen dezentralen und un_koordinierten Akten der Solidarität, der Zeit und der Aufmerksamkeit, der Energie und der Kraft, dem Wissen und dem materiellen Kapital, welches Freund_innen, Lernende und Lehrende stetig aufbringen und einbringen. Es ist und bleibt dadurch verletzlich und widerständig gleichermaßen.

Autonom zu sein von parteipolitischen, gewerkschaftlichen oder auch ökonomisch-liberal motivierten, staatlich institutionalisierten Gruppierungen und ihren Zielen heißt aber vor allem auch, selbstbestimmtes Lernen zu ermöglichen. Die Autonomie ist dabei der Schutzmantel, der diesen sicheren Raum eines respektvollen und würdevollen, solidarischen Miteinander denkbar macht. Selbstbestimmte Lern- und Lehrräume zur Aneignung von Sprache(n) sind aber gerade aktuell politisch unbedingt und bedingungslos notwendig. Als konkrete Utopie, als ein stetiges Scheitern im hoffnungsvollen und kämpferischen Tun im Angesicht einer postnazistischen und postkolonialen Realität in der die Selbstverständlichkeit oder die Banalität des Bösen und der Entmenschlichung und ihre historische Reproduzierbarkeit unfassbare Ausmaße annimmt.(1)

  • Keine vorgegebenen lehrbuchgetreuen Dialoge und Wortschätze lehren/lernen, in welchen staatlich verordnete Integration und Disziplinierung als Imperativ sich verschränken;
  • Zu Verweigern den Monolog einer imaginierten nationalen Identität einer Mehrheitsgesellschaft zum Auswendig_lehren/lernen vorzutragen;
  • Nicht so sein zu müssen;
  • Nicht dabei mitzumachen;

… traurig und schmerzhaft zugleich ist die Erkenntnis, dass das Schaffen von würdevollen und selbstbestimmten, anti-hierarchischen Lehr- und Lernräumen für Alle als Widerstand zu denken bleibt.

Mehr und nicht weniger Freiräume sind nötig, in denen Strategien zum guten Leben für alle erprobt werden können!

  • um uns den rar gemachten Raum und die Zeit zu nehmen, die wir brauchen
  • für die Sorge um uns selbst, umeinander, um unsere Umwelt und um die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen wir leben.
  • um uns als Gruppen, Projekte, Initiativen und Einzelpersonen zu vernetzen, die einen behutsamen, inkludierenden Umgang miteinander in den Mittelpunkt stellen wollen und auf eine Um-Care gesellschaftlicher Verhältnisse hinarbeiten.
  • um uns darüber auszutauschen, wie Care-Arbeit systematisch prekarisiert, abgewertet, schlecht bezahlt, gleichzeitig für viele unleistbar, privatisiert und unsichtbar gemacht sowie einzelnen (sexistisch oder rassistisch markierten) sozialen Gruppen aufgelastet wird
  • um über einzelne/vereinzelte Bereiche der bezahlten und unbezahlten (Kultur-, Bildungs- und sozialen) Arbeit hinaus den Zusammenhang von Care, Geschlechterverhältnissen, Ökonomie, Arbeitsorganisation, Zeitstrukturen und sozialer Gerechtigkeit zu diskutieren und über Szenen und soziale Gruppen hinaus gemeinsame Perspektiven und gemeinsame Strategien zu entwickeln
  • um Sorge- und Beziehungsarbeit entgegen traditionellen Geschlechterbildern auf lokaler und transnationaler Ebene neu zu bewerten, neu zu denken und zu organisieren
  • um miteinander solidarische Visionen zu entwickeln für eine gesellschaftliche Kultur, in der nicht Profit und neoliberale Verwertungslogik, sondern die menschlichen Bedürfnisse und Sorgen aller im Zentrum stehen.

„Im Ringen um gute Care-Verhältnisse ist eine Sorgeökonomie aufgerufen, in der jede/r nach seinen/ihren Bedürfnissen sorgt und umsorgt wird. Damit dies keine abstrakte Utopie bleibt, gilt es, auch den momentanen Bedingungen im Gesundheitswesen Stück für Stück mehr Lebensqualität abzuringen. Dabei ist Veränderung auch als Selbstveränderung zu denken. Care kann Perspektiven öffnen, jenseits des alten Widerspruchs von Revolution/Reform/Nische. Es lassen sich alltagsnahe Praxen mit politischer Bildung und Organisierung verbinden, mit anderen Kämpfen verschränken. Sorgearbeit als Tätigkeit gibt eine Ahnung davon, wie es wäre, wenn die Zerrissenheit zwischen Arbeit und Leben, zwischen Produktion und Reproduktion, die tief in der gesellschaftlichen – geschlechtlichen – Teilung der Arbeit angelegt ist, aufgehoben wäre.“
(Julia Dück und Barbara Fried 2015 http://www.zeitschrift-luxemburg.de/caring-for-strategy/)

Unabhängiges Kollektiv freiwilliger Deutschlehrer_innen und
Initiative Care-Raum Amerlinghaus

1       Mit den hier zitierten Begriffe verweisen wir auf die Denker_innen und Aktivist_innen: Hannah Arendt, María do Mar Castro Varela, Nikita Dhawan, Marina Gržinić, Rubia Salgado, Nora Sternfeld, Gayatri Chakravorty Spivak u.v.m. die unser Denken und Handeln wesentlich beinflussen

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Offenlegung: Medieninhaberin: Maria Novak, Wien. Grundlegende Richtung: Information über die Plattform #istnoetig und die 15 Forderungen an die (Kultur-)Politik